Anmerkung: Den letzten Blog-Beitrag habe ich vor einem Jahr veröffentlicht. In der dazwischen liegenden Zeit ist mein Vater verstorben, was zum einen viel praktische, aber auch viel emotionale Arbeit mit sich brachte. An Veröffentlichungen war nicht zu denken. In dem aktuellen Beitrag geht es unter anderem um die Erfahrungen, die ich mit meinem Vater in und nach Aufstellungen gemacht habe.
Zu der Frage, wie Familienaufstellung wirkt, möchte ich anhand meiner eigenen Erfahrungen mit Aufstellungen berichten. Beschreibungen von anderen zeigen mir, dass es geteilte Erfahrungen sind, was die Art und Weise der Wirkung angeht. Die individuelle Auswirkung auf das Leben ist natürlich bei jedem Menschen verschieden.
Das Leid (Anliegen für die Aufstellung)
Ich möchte als Beispiel mein Anliegen nehmen, das ich vor ungefähr fünf Jahren für eine Gruppenaufstellung bei meinem Ausbilder Harald Homberger eingebracht habe. Es war meine zweite Aufstellung in meinem Leben, eine sehr bedeutsame, wie sich zeigen würde. Ich äußerte meine Empfindung, dass ich zu dieser Zeit besonders aber eigentlich schon immer nicht wusste bzw. mich fragte, warum ich da bin und was mein eigenes Leben ausmacht. So, als ob ich irgendwie da wäre, aber mir immer ein Gefühl dafür fehlte, was eigentlich „meins“ sei. Alles in allem war das Leben für mich oft recht anstrengend und belastend – heute würde ich sagen, weil ich versuchte, mit einem Ruder einen Überseefrachter zu navigieren.
Die Aufstellung
In der Aufstellung passierte äußerlich nicht viel. Aber innerlich hat sich für mich möglicherweise ein Berg versetzt. Ich sollte beide Eltern aufstellen, meinen Vater stellte ich in die eine Ecke und meine Mutter in die diagonal entgegengesetzte. Mich stellt ich in die Mitte. Sofort ging ich dann zu meinem Vater und hing mich irgendwie an ihn ran, ich wollte Kontakt und Halt bei ihm. Der Stellvertreter für meinen Vater, ein junger Mann, machte jedoch gar nichts, außer in sich gekehrt dazustehen. Er legte nicht den Arm um mich, wendete sich nicht mir zu. Ich wurde da schon sehr traurig und begann zu weinen. Irgendwann ließ ich meinen Vater los und kauerte mich auf den Boden und weinte und weinte, dass es mich nur so schüttelte. Der Aufstellungsleiter kam und holte mich aus dieser totalen Verzweiflung und hielt mich einen Moment im Arm, als ob er mich beruhigte wie ein Kind. Dann sagte ich in meiner Erinnerung nur einen Satz zu meinem Vater, der da immer noch mit geschlossenen Augen am selben Fleck stand: „Von mir aus darfst du gehen.“ Dann sollte ich auf mein eigenes Leben in eine andere Richtung schauen. Da wurde ich etwas ruhiger.
Der Hintergrund
Meinen Vater zog es schon lange aus dem Leben, er hatte von Kindesbeinen an mehrere lebensbedrohliche Unfälle und – als junger Mann – eine Nahtoderfahrung nach einem Stromschlag. Man könnte auch vermuten, dass mein Vater nie ganz im Leben angekommen ist. Quasi nebenbei wurde er am Ende der mehrmonatigen Flucht meiner Oma aus Polen nach Deutschland geboren. Ein Wunder, dass er und meine Oma das überlebt haben.
Die Aufstellung zeigte aber auch, dass ich mit meinem Herzen voll und ganz bei meinem Vater war, also offenbar sehr stark mit ihm mitgefühlt und ihn gebraucht habe. Wahrscheinlich habe ich unbewusst versucht, für ihn etwas von dem Leid zu tragen, welches er schon nicht tragen konnte von dem Leid, das wiederum seine Mutter schon nicht tragen konnte. Mein Vater in seiner unbewussten Not hat meine Bereitschaft auch genutzt und mich immer wieder als seine Stütze angefragt. Eine so starke Identifikation mit einem anderen Menschen kann verhindern, sich selbst zu spüren und ein Gefühl für das eigene Leben zu entwickeln. Ein Teil des Herzens bleibt dann immer das Kind, das den Vater brauchte und ihm helfen wollte.
Die Lösung (bringt das Leben mit sich)
Die Lösung aus einem Leid, einer Verstrickung oder Blockierung ist immer ein ganz individueller Verarbeitungs- und Bewusstwerdungsprozess. Man kann von Familienaufstellung nicht erwarten, dass sie ein Problem mit einem Mal für immer löst. Viele Aspekte spielen in den Loslösungs- oder Lebensentwicklungsprozess nach einer Aufstellung oder auch nach jedweder Form der therapeutischen Intervention mit hinein. Welche Resilienzen gab es in der Familie? Wie ist das individuelle Wesen oder die Seele geprägt? Welche gesellschaftlichen und familiären oder sozialen Bedingungen liegen vor?
Eine Aufstellung ist quasi ein bildgebendes Verfahren, indem sie uns ein Geschehen zeigt, das im Idealfall mit dem geäußerten Anliegen in Verbindung steht. Was wir in der Aufstellung sehen, fühlen, aussprechen und was sich dadurch bewegt, arbeitet in uns und im Familiensystem weiter. Ich sage zu den Aufstellenden in meiner Praxis: „Du musst jetzt nichts tun, die Aufstellung arbeitet für dich.“ Das Einzige, was ich oft empfehle, ist bei dieser absichtslosen Innenschau zu bleiben, wie man sie in der Aufstellung erfährt. Sich also immer wieder zu fragen, wie geht es mir gerade, was fühle ich, was hat dieses oder jenes Erlebnis in mir ausgelöst – und wie geht es mir wirklich? Wie wir dann mit unseren Gefühlen umgehen und welche Schlüsse wir daraus ziehen oder wie lange es dauert, unser Eingebundensein in unsere Familie wirklich zu verstehen oder sich von jemanden zu lösen oder eine fehlende Bindung zu betrauern, das ist von Mensch zu Mensch verschieden.
Die Wirkung
Die oben erwähnte Aufstellung hat bei mir beispielsweise einen Prozess in Gang gebracht, mich mehr von meinem Vater zu distanzieren und mich mehr auf mein Leben zu konzentrieren. Also zum Beispiel eine Tätigkeit und Beziehungen zu finden, die besser zu mir passen. Ich bin vom Wesen her zum Beispiel jemand, der bis jetzt sehr lange gebraucht hat, mein kindliches Muster zu erkennen und mich von meinem Vater und alten Loyalitäten zu lösen. Erst nach seinem Tod letztes Jahr habe ich zu einer Kraft zu gefunden, mich in meiner Not wirklich zu sehen. Das bedeutet auch zu erkennen, was ich da eigentlich die ganze Zeit mache, wenn ich in einer Art nervensystemischen Dauernotzustand immer nur danach schaue, was als nächstes getan werden muss (zum Beispiel, damit der Vater bleibt)?
In allen möglichen Lebensbereichen wirken diese erlernten Bindungserhaltungsmuster. Traumatherapie ist, diese Muster oder Prägungen zu erkennen und von einem Gegenüber gesagt zu bekommen, ja, du hattest Recht daran, dies zu tun oder dich durch deine Bewältigungsstrategie zu schützen. Aber du darfst das jetzt lassen, es ist vorbei. Eine Familienaufstellung kann ein guter Impuls für eine im Alltag begleitende Traumatherapie sein. Manche brauchen auch keine Traumatherapie, sie können den Impuls aus der Aufstellung, das Seelenbild, selbst gut verarbeiten. Oft schafft eine Aufstellung einen neuen Freiraum, ein Spalt öffnet sich und neue Erfahrungen mich sich selbst und anderen können ihren Platz in uns finden. Manchmal löst sich eine Not auch wie in Luft auf, ohne dass man aktiv etwas dafür tun muss. Die erleichternde Wirkung ist oft subtil, sie schleicht sich ein und wir merken nach einiger Zeit, dass wir schon länger nicht mehr dieses oder jenes Problem hatten.
Was wir nicht in der Hand haben
Ich möchte noch eine Sache in Bezug auf meinen Vater erwähnen, die man als moralisch fragwürdig empfinden könnte: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die wahre Erleichterung erst eintrat, nachdem mein Vater verstorben ist. Erst dann hatte ich die wirkliche Freiheit, also die innere Ruhe, ganz gegenwärtig auf mich zu schauen. Und zwar mit dem Mitgefühl, das ich für mich selbst brauche, um wirklich wachsen zu können. Einfach, weil mein Vater mich nicht mehr adressiert hat.
Eine Kollegin wies mich beim Gegenlesen des Artikels darauf hin, dass man die von mir empfundene Erleichterung nach dem Tod meines Vaters auch anders deuten kann: Mit dem Tod meines Vaters hat sich der Lösungssatz („Von mir aus darfst du gehen.“) aus der zu Beginn erwähnten Aufstellung ja letztendlich vollzogen. Mit dem Satz gab ich meinem Vater quasi das Ok, seinem Seelenweg zu folgen. Die Erleichterung, die ich fühle, ist vielleicht auch die Erleichterung meines Vaters, dass er endlich seinen Weg aus dem Leben gehen konnte. Weil ich ihn losgelassen habe und nicht mehr gehofft habe, dass er mal der starke Vater sein würde, der er nie sein konnte, aber vielleicht aus Liebe für mich sein wollte.
Was am Ende zählt, ist dass Frieden einziehen darf in die Herzen der Lebenden und der Verstorbenen. Wann das geschieht, hat man eben nicht immer in der Hand.
Familienaufstellung ist kein Wunder- und kein Allheilmittel…
…aber es kann, wenn es das passende Mittel ist, wirklich Prozesse in Gang bringen, die wir ohne das Gegenüber, die stellvertretende Wahrnehmung durch die Stellvertreter/innen, nicht sehen könnten.
Durch meine langjährigen intensiven Selbsterfahrung habe ich einen spezifischen Erfahrungsschatz gewonnen, den ich in meine Arbeit mit einbringe und mit dem ich gern mit Ihnen oder dir auf Ihr/dein Anliegen schaue und Sie oder dich in deinem Lebensentfaltungsprozess gern begleite.